No. 18 - Wie für das Hören schreiben?
- Julia Binsack
- 2. März
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 14. Mai
Eine Rede ist kein Essay. Haha, das ist jetzt ein wenig banal. Aber warten Sie ab, es wird noch besser: Wer für das gesprochene Wort schreibt, muss anders schreiben als jemand, der einen Text schreibt, der gelesen werden soll. Bei einem veröffentlichten Text kann sich der Lesende eine für sich passende Lesegeschwindigkeit wählen, Abschnitte mehrmals lesen und Zwischenüberschriften nutzen, um Orientierung zu gewinnen. Wer liest, hat den Text in der Hand. Sozusagen. Beim Zuhören gibt es diese Kontrolle nicht. Das vorgetragene Wort muss vom Publikum in jedem Moment unmittelbar verstanden werden. Sonst geht es verloren.
Dieser grundlegende Unterschied stellt besondere Anforderungen an Struktur, Stil und Wortwahl. Schon Aristoteles unterschied in seiner Rhetorik zwischen der schriftlichen Darstellung von Gedanken und der Kunst, Menschen im direkten Sprechen zu überzeugen. Viele Redetexte scheitern schon daran, dass sie wie Artikel klingen. Sie sind zu lang, zu abstrakt oder zu kompliziert formuliert – und erreichen das Publikum nicht. Wer für das gesprochene Wort schreibt, denkt besser vom Hören her: Was wird verstanden, was bleibt hängen, was klingt natürlich?

Damit Ihr nächster Redebeitrag auch wie ein Redebeitrag klingt, gebe ich Ihnen 4 konkrete Empfehlungen mit, wie Sie für das gesprochene Wort schreiben:
1. Kurze Sätze. Ein Gedanke pro Satz. Lange, verschachtelte Sätze überfordern beim Zuhören. Halten Sie die Sätze kurz, klar und linear. Faustregel: Ein Gedanke – ein Satz. So kann das Publikum folgen, ohne den Faden zu verlieren.
2. Vertraute Sprache. Vermeiden Sie abstrakte Begriffe, Substantivierungen und theoretische Formulierungen. Nutzen Sie Worte, die alltäglich und leicht verständlich sind. Statt „der gesellschaftliche Zusammenhalt“ lieber „wir halten zusammen“. Das ist klar und deutlich.
Viele Redetexte scheitern daran, dass sie wie Artikel klingen.
3. Schlüsselgedanken wiederholen. Anders als beim Lesen kann das Publikum nicht zurückspringen. Wiederholungen helfen, zentrale Aussagen zu verankern. Wiederholungen strukturieren den Vortrag und geben Orientierung.
4. Laut lesen. Was sich gut liest, klingt nicht automatisch gut. Lesen Sie den Text mindestens einmal laut. Stolpern Sie? Kürzen. Klingt es gestelzt? Umformulieren. Eine gute Rede muss sich sprechen lassen, nicht bloß korrekt und logisch sein.
Redenschreiben ist keine verkleinerte Version des Essay-Schreibens, sondern eine eigenständige Form mit eigenen Regeln. Wer sich an den Hörgewohnheiten orientiert und sprachlich vereinfacht, gewinnt Klarheit, Wirkung und Präsenz.
Viel Spaß beim Schreiben für das gesprochene Wort!
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